Sechs Wochen Indien liegen hinter uns, Tausende von Kilometern haben wir zurückgelegt, so viele freundliche und interessante Menschen kennen gelernt und etliche Grundgesetze erprobt. Zwei Tage bleiben uns noch in Mumbai, das einst Bombay hieß. Es ist ein echtes Problem: So viel zu sehen –von Mumbai, von Indien insgesamt – und so wenig Zeit. Dieses Land ist uns ans Herz gewachsen.
Aber was sollen wir sagen, wenn wir zu Hause gefragt werden: „Wie war denn Indien so?“ Noch habe ich keine Antwort auf diese Frage, mein Abschiedsschmerz überwiegt.
„Und wenn wir einfach hierbleiben?“, fragt Petra und blinzelt in die Sonne auf dem Vorplatz des Gateway of India.
„Ich würde sagen: ja“, erwidere ich. „Mindestens noch sechs Wochen.“
Doch das ist leider ausgeschlossen – zu Hause warten Arbeit, Familie und Freunde.
Wir versuchen, etwas zu finden, das uns den Abschied von diesem Land, das uns so fasziniert, leichter macht. Doch weder Teetrinken in unseren Schlunzklamotten im Beisein des überaus höflichen Servicepersonals des Taj Mahal Palace noch der Besuch der Bombay Panjrapole – eines Kuhsozialheims in der Nähe des Bhuleshwar-Marktes, auf dem wir danach noch ergebnislos versuchen, uns durch Shopping in die Erschöpfung zu treiben, fruchtet etwas.
„Komm, lass uns rüberfahren zur Elephanta Island“, schlägt Petra am nächsten Tag vor.
Ja, ich finde auch: Wir sind eher reif für die Insel als für die Rückkehr nach Deutschland, wo es derzeit schneit und alles grau in grau ist. Vielleicht zieht ein Sturm auf und wir können die Insel nicht verlassen?
Doch weit gefehlt. Der Himmel bleibt milchig-versmogt in der Hitze der Millionenstadt, und wir schippern friedlich und ungestört auf die Insel mit den tollen Tempelanlagen ohne Elefant – und zurück.
Ein letztes Essen im Leopold’s Café, das sich innerhalb kürzester Zeit zu unserem Stammladen entwickelt hat. Das Leopold’s gibt es schon seit der letzten Jahrhundertwende – ein kramig aussehendes altes Café, indem sich die Gäste mitunter auf die Füße treten und wo große Spiegel an den Wänden hängen, über ihnen Gemälde von London, Paris, New York – kein Wunder, dass es so beliebt ist, allein die Drinks, die sie dort servieren!
Eine halbe Stunde später ordern wir die Rechnung und müssen uns nun schon beeilen, um unsere Koffer aus dem YWCA zu holen und ein Taxi zum Flughafen zu bekommen.
Ohne Erfolg.
Die Zeit verstreicht.
Kein Taxi in Sicht.
„Sonst bremsen doch immer gleich mehrere!“, meint Petra und tritt nervös von einem Fuß auf den anderen.
Insgeheim hoffe ich, dass wir den Flug einfach verpassen. Immerhin habe ich immer noch keine Antwort auf die Frage, wie ich Indien eigentlich finde.
Schließlich hält doch ein Wagen vor der Jugendherberge, der Fahrer schnallt unsere Rucksäcke aufs Dach und wir brausen gen Norden durch die Stadt.
Alles zieht noch einmal an uns vorbei: das Formerly-Prince-of-Wales-Museum, das jetzt Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya heißt, der Marine Drive alias Queen’s necklace mit den vielen Straßenlaternen, und in der Ferne sehen wir die Geier über dem Tower of Silence kreisen. Taxis überholen uns, und selbst auf dicht befahrenen mehrspurigen Straßen versuchen Fußgänger zu kreuzen.
Große Plakate künden von neuer Sari-Mode, teuren Uhren oder dem neusten Bollywoodfilm. Es wird langsam dunkel, und immer noch haben wir unser Ziel nicht erreicht.
„Mist“, meint Petra schließlich, als das hypermoderne Gebäude des Flughafens in Sicht kommt. „Jetzt haben wir es doch geschafft.“
Genau so geht’s mir auch.
Allerdings haben wir auf der langen Fahrt eine halbwegs einleuchtende Antwort auf die Frage gefunden, was der Subkontinent für uns bedeutet:
Indien, wir werden dich vermissen. In all deiner Schönheit, deiner Weisheit, den wunderbaren Gerichten, die wir hier gegessen und den schrägen Dingen, die wir hier erlebt haben. Sicher bist du ein schwieriges Land, mit all der Armut und den sozialen Ungerechtigkeiten, der Umweltverschmutzung und den fehlenden Infrastrukturen. Du bist so, wie wir es nie erwartet hätten: besser, schlimmer, duftender, stinkender, lieblicher, lärmiger, leckerer, ungewöhnlicher und verrückter als alle Länder, in denen wir zuvor je gewesen sind.
Danke für diese Reise und deine Gastfreundschaft, incredible India!
Und: Good bye, Mumbai!