The Constitution of Cologne als Exportschlager

Wir hätten nie gedacht, wie schnell es geht: Kaum, dass wir mit vom Flug geschwollenen Füßen indischen Boden berührt haben, werden wir von der Relevanz des Kölschen Grundgesetzes nahezu überrollt: Am Flughafen in Chennai drückt uns ein leger Uniformierter gleich drei Formulare ins verschwitzte Händchen. Et es, wie et es – das muss ausgefüllt werden.

Oha. Dabei hatten wir doch am heimischen Schreibtisch in Köln schon so viel Spaß mit der indischen Bürokratie. Um den dreiseitigen Antrag auf ein Visum auszufüllen, war zumindest ein Grundstudium in Formularistik notwendig. Da gehörte die Frage, ob unsere Großeltern aus Pakistan stammen, noch zu den einfacheren. Wer weiß schon auf Anhieb mit Sicherheit zu sagen, welche mittleren Vornamen und Geburtsorte sich in den Ausweisen der eigenen Eltern verbergen? Zumindest eine von uns beiden überlegte, ob es unverdächtiger sei, für die Angabe des Geburtsortes ihres Vaters – früher Deutschland, heute Polen – die heutigen Grenzen zu ignorieren. Dazu kam, dass ich nachträglich aufgefordert wurde, ein Journalistenvisum zu beantragen, wohlgemerkt zusammen mit der eidesstattlichen Versicherung, dass ich in Indien keiner journalistischen Arbeit nachgehen werde. Um dann in meinem Pass das Touristenvisum einer Frau G. vorzufinden, die allenfalls vage Ähnlichkeit mit mir besitzt.

In den Flughafenformularen müssen wir einige Fragen des Visum-Antrags zur Sicherheit noch mal handschriftlich beantworten, uns mit unerklärlichen Abkürzungen herumschlagen und angeben, ob wir unter Ebola leiden. Als wir an den sehr gepflegt, aber provisorisch anmutenden Ebola-Schalter treten, um das Formular abzugeben, sitzt dort keiner mehr. Wat soll dä Quatsch?

Raus aus dem Flughafen in die versmogte Luft der Großstadt. An einem Pre-Paid-Taxistand verkauft uns ein Mann die Fahrt nach Mamallapuram für 1500 Rupien. Dann ruft er zum Mitverdienen einen Herrn, der uns die zehn Meter zu den Taxis führt. Der Taxifahrer wird ausgelost, so scheint es uns, weil es einiges Herumgeschiebe von Quittungen und so etwas wie ein freundliches Handgemenge gibt. Der Sieger, ein Mann mittleren Alters, zwinkert und zuckt während der Fahrt so lange, bis Petra versteht, dass er sie nicht anbaggern will, sondern möglicherweise an einer leichten Form der Epilepsie leidet. Wir fühlen uns in seinem Wagen dennoch sicher: Er umfährt alle auf der Straße stehenden Kühe weiträumig. Gerne gestatten wir ihm, für einen Teller Dal an einer Straßenküche anzuhalten.

Da Mamallapuram nur ein kleiner Küstenort ist, finden wir das Hotel Daphne recht schnell. Wir sind mitten im Partyquartier gelandet, aber das Hotel hat einen bezaubernd begrünten Innenhof, in dem es sehr ruhig ist. Nachdem wir ihn genügend bewundert haben, ist das Zimmer bereit und wir fallen aufs Bett wie ins Koma.

Zwei Stunden später schälen wir unser Gepäck aus dem Rucksack, richten uns ein und gehen dann im Ort spazieren. Frauen wie Männer in bunter Kleidung bieten selbst hergestellten Schmuck feil. Vor dem Laden eines Steinmetz‘ sehen wir neben dem Abbild einer Riesenkuh, deren Hals gleich mit drei Glocken geschmückt ist, ein lebendiges Rindvieh ein Stück Plastik wiederkäuen.

Es ist ähnlich verschmutzt wie in Köln nach den tollen Tagen, bevor sich die Stadtreinigung erbarmt. Und es dauert nicht lange, bis uns jemand den Weg zum Strand zeigt, nachdem wir ein paar Mal zufällig Touristenführer erwischen, die lieber über ihre günstigen Angebote sprechen.

Am Strand ist viel los: Bei den Verkäufern von Ketten und Tüchern üben wir Gelassenheit und ein schräges Kopfnicken, in Verbindung mit einem Schulterzucken, das laut Reiseführer für Verwirrung sorgt, weil es weder Interesse signalisiert noch unfreundlich ist. Plötzlich treten vier junge Inder auf uns zu, die ein Foto mit uns machen möchten. Diese Situation ist zumindest Petra nicht ganz fremd, und so fühlen wir uns praktisch jetzt schon wie zu Hause. Fehlt nur die Aussicht op d’r Dom – aber wozu gibt es Tempelanlagen aus dem 7. Jahrhundert?

Ausgehungert treffen wir im Blue Elephant Café eine Amerikanerin, die für ihre Firma in Chennai Mitarbeiterschulungen durchführt. Sie lässt sich vom Kellner einen blauen Krebs an den Tisch bringen, der sich bewegt. Schon eine Viertelstunde später hat er das Zeitliche gesegnet und liegt in einer roten Soße auf ihrem Teller.

An der Wand fixiert ein dicker beiger Gecko einen Strom Ameisen, während wir mit der Krebsverschlingerin plaudern. Sie will wissen, warum wir uns Indien als Reiseziel ausgesucht haben, und wir erklären unseren Plan. Seltsamerweise hat sich das Kölsche Grundgesetz in den USA noch immer nicht durchgesetzt. Wir schlagen ein Hollywood-Remake vor, das dann sicher ein ähnlicher Kassenschlager wird wie „The Shack“ und „The Secret“ – vielleicht hat ja Brad Pitt Lust auf die Verkörperung von Willy Millowitsch. „The Constitution of Cologne“, das wär doch was. Aber wir exportieren die Idee nur, wenn das Kölsche Grundgesetz hier weiter läuft wie geschnitten Naan …

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