Ciao Chidambaram

Natur wird überbewertet. Schöner ist der Blick aus dem Hotelfenster auf Tanke, Tempel, Busbahnhof
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Ein idyllischer Sonntagmorgen in Chidambaram: Aufwachen zu den sanften Klängen von Hupen und Motoren
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Mülleimer sind äußerst selten. Aber wenn man einen findet, ist er einfach zum Kuscheln
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Kurz waren wir in Versuchung, bei der Polizei nach einer Unterkunft zu fragen. Immerhin die beste Adresse der Stadt
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Bei uns ist das Ritz das beste Haus am Platz. Hier ist das Ritz ein Witz
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Der Do-it-yourself-Kit für ein Kolam in zwei einfachen Schritten
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Der berühmteste Shiva-Tempel ist genau wie der Kölner Dom: immer bauen se dran
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Geben Kühe, die Plastik fressen, gleich Milch im Tetrapak?
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Freunde, wir werden gestalkt!

Wir sind auf dem Weg zu unsrem Hotel in Mamallapuram, als uns ein dringendes menschliches Bedürfnis plagt. Fast haben wir das weiß getünchte Haus mit den schmalen Balkonen schon erreicht, als uns ein fülliger, gut gekleideter Mann in ein Gespräch verwickelt. Zu unserer Verblüffung verrät er uns nach ein wenigen Minuten, dass er Ragul heißt, Reisekaufmann ist und Touren durch den Süden von Indien anbietet.
„I have driver taxi see all beautiful places in Tamil Nadu“, sagt er, während wir von einem Bein aufs andre treten. „You friends sit here I make good price.“
Zwar in Nöten, sind wir dennoch erfreut, in der Fremde so schnell einen Freund gefunden zu haben. Immerhin ist ein ehernes Kölsches Gesetz: Echte Fründe stonn zusammen. Wir setzen uns mit ihm unter eine Palme in der Nähe.
Eine Stunde später eilen wir mit seiner Visitenkarte, unserem Gepäck und in großer Bedrängnis die Treppen zu unserem Zimmer hinauf.

Wir sehen Ragul schon am nächsten Tag wieder. Er winkt fröhlich herüber, als ein Schneider auf der Hauptstraße Petras Rucksackträger repariert. Ach, du liebe Zeit, wie hat der uns denn nur so schnell wieder gefunden?
„When you visit my shop?“, fragt Ragul und lächelte etwas zu breit. „Make good journey, make good price for you, my friend!“

Der Schneider, ein junger Mann ebenmäßigen Gesichtszügen, stellt sich als Subramaniyam vor und versichert uns, dass er uns nichts verkaufen will. Dann bittet er uns in das Geschäft seines Bruders nebenan, einen nach Räucherstäbchen duftenden, mit kleinen Shivafiguren und Silberschmuck voll gestopften Laden. Er wolle uns etwas Wichtiges zeigen. Aus einer Vitrine mit kristallbesetzten Meditationsstäben reicht er uns etwas, das wie eine messingfarbene Salatschüssel aussieht.
„Is good for chakra, you know chakra?“, fragt er und zieht einen mit gemusterter Seide bezogenen Hocker heran. „Sit here, I show you.“
Er bittet mich, die Augen zu schließen und schlägt mit einem filzbezogenen Klöppel an die Salatschüssel, je drei Mal vor meinem Kopf, Hals und Bauch. Es dröhnt stark und ist gar nicht unangenehm. Aus einem unerfindlichen Grund erinnere ich mich plötzlich an meine erste große Liebe, einen Bassisten.
„Is not only good for you but for all your family“, sagt er, nachdem er Chakra-Chakra gemacht hatte. „Five minute every day!“
„What costs it denn?“, frage ich vollkommen überrumpelt, und Subramaniyam zückt Block und Stift, um zu rechnen, und schiebt mir dann den Taschenrechner mit dem Preis in Euro hin: 362, steht dort.
„But I make good price for you, my friend.“
Das kommt mir vage bekannt vor.

Petra übernimmt und manövriert mich aus dem Laden hinaus.
„Wir können keine Einskommafünfkiloschüssel im Rucksack bis nach Mumbai schleppen“, sagt sie.
Dieser Logik kann ich mich nicht verschließen.
Ragul winkt wieder von gegenüber, Subramaniyam ruft uns hinterher: „I see you next day, friends!“ Wir ziehen die Köpfe ein.

Tags darauf wollen wir zur Tiger Cave, einer Höhle, die von neun in den Stein gehauenen Tigerköpfen eingerahmt wird und in deren Inneren sich ein Schrein für die Göttin Durga befindet. Um uns dem verkäuferischen Talent von Ragul und der subtilen Verführung Subramaniyams zu entziehen, nehmen wir uns ein Tuk Tuk, das uns ein wenig abgeschirmt durch den Stadtkern und die fünf Kilometer nach Norden fahren wird.
„You go Tiger Cave and I bring you Corkodibunk!“, verkündet der Fahrer, ein kleiner älterer Mann mit silbernen Strähnen im pomadigen Haar.
„No, no Crocodile Bank“, ruft Petra, während ich noch überlege, was wohl ein Corkodibunk sein mag. „We only want to see the Tiger Cave!“ Sie raunt mir zu: „Die Krokodilfarm ist doch fast zwanzig Kilometer weg – und außerdem will ich keine eingesperrten Tiere sehen.“
„But other tourist go Corkodibunk, like it“, insistiert der Mann. „You go Corkodibunk.“
Wir schütteln synchron die Köpfe und handeln mit ihm einen fairen Preis von 250 Rupien für die Fahrt zu den Tigerköpfen aus.
Ich bin noch nie Tuk Tuk gefahren und halte wie ein beglückter Cockerspaniel die Nase in den Wind, der durch die offenen Seiten des dreirädrigen Gefährts dringt. Ab und an zuckt Petra zusammen, weil ein Wagen auf der Gegenfahrbahn uns beim Überholen beinahe rammt.

Die Tigerhöhle ist den Ausflug wert. Die in Stein gemeißelten Köpfe blicken majestätisch auf uns herab, und es gibt sogar noch eine frische Ausgrabungsstätte eines Tempels in der Nähe und eine Bonushöhle mit einer Lingamskulptur, dem besten Stück von Shiva. Petra posiert mit dem Phallus, dann gehen wir zurück zum Parkplatz, wo unser Fahrer wartet. Die Rückfahrt ist noch mal ein Highlight für alle, die zum ersten Mal Tuk Tuk fahren. Also für mich.

Wir haben es geschafft: Ohne mit Subramaniyam und Ragul zusammenzutreffen, sind wir wieder am Hotel angekommen, haben keine Klangschale kaufen und keine Reise buchen müssen. In meiner Erleichterung frage ich unseren Chauffeur, ob Petra von uns ein Foto machen dürfe – er sei immerhin mein erster Tuk-Tuk-Fahrer. Strahlend willigt er ein und wir knipsen ein Foto, dann bekommt er sein Geld. Endlich einer, der sich nicht an uns hängt!

Erst, als wir schon fast an der Tür vom Hotel stehen, ruft er uns hinterher: „Hey, you want my mobile number? I give you mobile number, you call me when need taxi. I make good price for you, my friend!“

Wir drehen uns nicht um. Höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg nach Pondicherry machen. Mal sehen, ob unsre drei Freunde Artikel 4 des Kölschen Grundgesetzes kennen: „Wat fott es, es fott.“

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The Constitution of Cologne als Exportschlager

Wir hätten nie gedacht, wie schnell es geht: Kaum, dass wir mit vom Flug geschwollenen Füßen indischen Boden berührt haben, werden wir von der Relevanz des Kölschen Grundgesetzes nahezu überrollt: Am Flughafen in Chennai drückt uns ein leger Uniformierter gleich drei Formulare ins verschwitzte Händchen. Et es, wie et es – das muss ausgefüllt werden.

Oha. Dabei hatten wir doch am heimischen Schreibtisch in Köln schon so viel Spaß mit der indischen Bürokratie. Um den dreiseitigen Antrag auf ein Visum auszufüllen, war zumindest ein Grundstudium in Formularistik notwendig. Da gehörte die Frage, ob unsere Großeltern aus Pakistan stammen, noch zu den einfacheren. Wer weiß schon auf Anhieb mit Sicherheit zu sagen, welche mittleren Vornamen und Geburtsorte sich in den Ausweisen der eigenen Eltern verbergen? Zumindest eine von uns beiden überlegte, ob es unverdächtiger sei, für die Angabe des Geburtsortes ihres Vaters – früher Deutschland, heute Polen – die heutigen Grenzen zu ignorieren. Dazu kam, dass ich nachträglich aufgefordert wurde, ein Journalistenvisum zu beantragen, wohlgemerkt zusammen mit der eidesstattlichen Versicherung, dass ich in Indien keiner journalistischen Arbeit nachgehen werde. Um dann in meinem Pass das Touristenvisum einer Frau G. vorzufinden, die allenfalls vage Ähnlichkeit mit mir besitzt.

In den Flughafenformularen müssen wir einige Fragen des Visum-Antrags zur Sicherheit noch mal handschriftlich beantworten, uns mit unerklärlichen Abkürzungen herumschlagen und angeben, ob wir unter Ebola leiden. Als wir an den sehr gepflegt, aber provisorisch anmutenden Ebola-Schalter treten, um das Formular abzugeben, sitzt dort keiner mehr. Wat soll dä Quatsch?

Raus aus dem Flughafen in die versmogte Luft der Großstadt. An einem Pre-Paid-Taxistand verkauft uns ein Mann die Fahrt nach Mamallapuram für 1500 Rupien. Dann ruft er zum Mitverdienen einen Herrn, der uns die zehn Meter zu den Taxis führt. Der Taxifahrer wird ausgelost, so scheint es uns, weil es einiges Herumgeschiebe von Quittungen und so etwas wie ein freundliches Handgemenge gibt. Der Sieger, ein Mann mittleren Alters, zwinkert und zuckt während der Fahrt so lange, bis Petra versteht, dass er sie nicht anbaggern will, sondern möglicherweise an einer leichten Form der Epilepsie leidet. Wir fühlen uns in seinem Wagen dennoch sicher: Er umfährt alle auf der Straße stehenden Kühe weiträumig. Gerne gestatten wir ihm, für einen Teller Dal an einer Straßenküche anzuhalten.

Da Mamallapuram nur ein kleiner Küstenort ist, finden wir das Hotel Daphne recht schnell. Wir sind mitten im Partyquartier gelandet, aber das Hotel hat einen bezaubernd begrünten Innenhof, in dem es sehr ruhig ist. Nachdem wir ihn genügend bewundert haben, ist das Zimmer bereit und wir fallen aufs Bett wie ins Koma.

Zwei Stunden später schälen wir unser Gepäck aus dem Rucksack, richten uns ein und gehen dann im Ort spazieren. Frauen wie Männer in bunter Kleidung bieten selbst hergestellten Schmuck feil. Vor dem Laden eines Steinmetz‘ sehen wir neben dem Abbild einer Riesenkuh, deren Hals gleich mit drei Glocken geschmückt ist, ein lebendiges Rindvieh ein Stück Plastik wiederkäuen.

Es ist ähnlich verschmutzt wie in Köln nach den tollen Tagen, bevor sich die Stadtreinigung erbarmt. Und es dauert nicht lange, bis uns jemand den Weg zum Strand zeigt, nachdem wir ein paar Mal zufällig Touristenführer erwischen, die lieber über ihre günstigen Angebote sprechen.

Am Strand ist viel los: Bei den Verkäufern von Ketten und Tüchern üben wir Gelassenheit und ein schräges Kopfnicken, in Verbindung mit einem Schulterzucken, das laut Reiseführer für Verwirrung sorgt, weil es weder Interesse signalisiert noch unfreundlich ist. Plötzlich treten vier junge Inder auf uns zu, die ein Foto mit uns machen möchten. Diese Situation ist zumindest Petra nicht ganz fremd, und so fühlen wir uns praktisch jetzt schon wie zu Hause. Fehlt nur die Aussicht op d’r Dom – aber wozu gibt es Tempelanlagen aus dem 7. Jahrhundert?

Ausgehungert treffen wir im Blue Elephant Café eine Amerikanerin, die für ihre Firma in Chennai Mitarbeiterschulungen durchführt. Sie lässt sich vom Kellner einen blauen Krebs an den Tisch bringen, der sich bewegt. Schon eine Viertelstunde später hat er das Zeitliche gesegnet und liegt in einer roten Soße auf ihrem Teller.

An der Wand fixiert ein dicker beiger Gecko einen Strom Ameisen, während wir mit der Krebsverschlingerin plaudern. Sie will wissen, warum wir uns Indien als Reiseziel ausgesucht haben, und wir erklären unseren Plan. Seltsamerweise hat sich das Kölsche Grundgesetz in den USA noch immer nicht durchgesetzt. Wir schlagen ein Hollywood-Remake vor, das dann sicher ein ähnlicher Kassenschlager wird wie „The Shack“ und „The Secret“ – vielleicht hat ja Brad Pitt Lust auf die Verkörperung von Willy Millowitsch. „The Constitution of Cologne“, das wär doch was. Aber wir exportieren die Idee nur, wenn das Kölsche Grundgesetz hier weiter läuft wie geschnitten Naan …

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Was haben wir vor?

Mantra, Mantra – mit dem Kölschen Grundgesetz durch Indien

Wir Rheinländer wissen: Wer wahre Erleuchtung sucht, schaut ins Kölsche Grundgesetz. Vom Leben im Hier und Jetzt – „Et es wie et es!“ – bis zur Akzeptanz der Vergänglichkeit – „Wat fott es, es fott.“ – in diesen Sätzen finden wir Jecken für jede Lebenslage Rat.
Aber gelten die weisen Worte auch außerhalb der Grenzen der Domstadt?

Das wollen wir – Switch-Comedienne Petra Nadolny und Autorin Anne Weiss („Generation Doof“) – herausfinden. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als das Land, das die Erleuchtung quasi erfunden hat: Indien. Was uns dort geschieht, erfahrt ihr in diesem Blog – do laachs de disch kapott!

6 Wochen, 5 Frauen, 1 Projekt: Das ist Shiva Colonia!

Opjepass! Wir zwei sind nicht allein unterwegs: Mit uns reisen Sybille Herkenrath, Marion Radetzky und Hannelore Schmitz. Drei Frauen von Format, die gemeinsam einen Kundalini-Yoga-Kurs an der Volkshochschule besuchen und sich auf Anraten ihres Gurus Rainer den nächsten Flieger geschnappt haben. Sie berichten euch live von ihren Erlebnissen. Wundert euch nicht, wenn sie alle ganz, ganz leichte Ähnlichkeit mit Petra Nadolny haben. Alles Inzucht hier in Köln.