Kochi, Kunst und Kohle

Kochi, die zweitgrößte Stadt in Kerala, hat mit Köln nicht nur den Anfangsbuchstaben gemein, sondern auch die „Schälsick“ … Also, Halbinseln, genauer gesagt. Hier trennt allerdings nicht ein Fluss die Stadtteile, sondern das Arabische Meer. Kochi vorgelagert sind einige Inseln.

Wir kommen auf dem Festland in einem Stadtteil namens Ernakulam an, fahren mit dem Bus auf großen Straßen an Gewerbegebieten und hässlichen Häuserkomplexen vorbei. In diesem Viertel haben Anne und ich einen Termin in der Reiseagentur, bei der wir nach viel Hin und Her eine Schiffsreise zu den benachbarten Lakkadiven reserviert haben. Jetzt wollen wir buchen.
„Ich freu mich so auf die Fische“, sagt Anne. „Und wenn es mit der Tauchbasis klappt, dann mache ich dort meinen Advanced Open Water Diver!“

Eine enge Außentreppe führt in das Büro, das den Look einer Garage besitzt. Von den niedrigen Decken hängen Leuchtstoffröhren und ein paar staubige Girlanden, die an das noch nicht lange vergangene Weihnachtsfest erinnern. Es fällt mir schwer, mir hier festive Stimmung vorzustellen. Ein Dutzend Mitarbeiter blicken angestrengt auf ihre Monitore und klappern brav in ihre Tasten.

Unsere zuständige Beraterin zählt die Eckdaten zu unserem geplanten einwöchigen Ausflug auf die Insel Kadmat auf: Doppelzimmer, Verpflegung inklusive, Anreise per Schiff, Geld sollten wir vorher abheben, da es auf der Insel keine Möglichkeit gibt …
„Es gibt keinen Geldautomaten auf der Insel?“, unterbricht Anne sie auf Englisch und hat sofort eine steile Problemfalte auf der Stirn. „Wie soll ich denn dann die Tauchbasis bezahlen?“
„Only cash“, betont die Mitarbeiterin. „But no problem, you can get money from the machine here.” Sie zeigt auf die andere Straßenseite.
„No, it‘s not possible!” Ich berichte von unseren gescheiterten Versuchen in den letzten zwei Wochen, Geld abzuheben. Meine Maestro-Karte macht es schon seit Varkala nicht mehr und mit ihrer kann Anne rund 80 Euro ziehen. Mehr bekommt man nur mit der Kreditkarte – und unsere haben in Indien noch bei keinem Automaten funktioniert.
Die Dame bleibt gelassen. „You have a credit card?”
„Yes. But it doesn‘t work …”
„No problem.“ Sie lächelt und bittet mich, ihr meine Karte zu zeigen. Nach einem kurzen Blick schiebt sie das Plastikgeld in ihr portables Bezahlgerät und gibt den Reisepreis für unseren Inseltrip ein. Das Gerät druckt knatternd einen Bon aus. Strahlend wackelt sie mit dem Kopf. „It works!“
Zumindest die Reise nach Kadmat ist gebongt.
Aber woher soll Bares fließen fürs Tauchen und Schnorcheln, dem eigentlichen Grund unseres Ausflugs?

Wir begeben uns auf die andere Straßenseite und versuchen es mit unseren Geldkarten der Reihe nach an jedem der vielen Automaten und in den Bankfilialen, die es in dieser nicht enden wollenden Geschäftsstraße gibt. Vergeblich. Selbst die Kreditkarte, mit der ich eben noch im Reisebüro gebucht habe, versagt konsequent ihren Dienst. Auch Anne kann nicht eine Rupie abheben.
„Wat soll dä Kwatsch?“, sage ich.
„Wat wells de maache?“, antwortet Anne. „Shit – trotz aller Gelassenheit im Kölschen Grundgesetz finde ich es wirklich doof, dass ich auf eine Trauminsel fahre und dort kein Geld zum Tauchen habe.“
Ich verziehe das Gesicht beim Anblick in mein Portemonnaie.
„Haha. Da laachs de disch kapott!“, sage ich und kann die Bitterkeit in meiner Stimme nicht verbergen. „Unsere Grundgesetze helfen jetzt auch nicht weiter. Wir brauchen Kohle!“
„Die treffen doch gerade sehr zu.“ Anne grinst. „Et es wie et es.“
„Ich hab Durst“, maule ich. “Ein Kaffee oder Tee wäre zur Abwechslung nicht schlecht. Drinks de ejne met?“
Wir bestellen am nächsten Büdchen heißen Chai.

Über eine lange Brücke lassen wir uns dann mit dem Tuk-Tuk auf die Halbinsel Fort Cochin bringen. Kleine Gassen, Häuser mit kolonialem Flair, Restaurants, sogar Cafés gibt es hier. Schnell hellt sich unsere Stimmung auf, wir suchen ein Zimmer und spazieren durch diesen zauberhaft schönen Ort zur Kaimauer mit den chinesischen Fischernetzen am Strand.
Es sind relativ viele Touristen unterwegs, denn zurzeit findet die Internationale Kunst-Biennale statt. Da müssen wir hin! Das Ticket kostet nur 150 Rupien. Keine Frage, da simmer dabei – und vergessen im Kunstrausch unsere Geldprobleme für einige Zeit.

Am Morgen holen sie uns wieder ein, denn schon am nächsten Tag soll die Reise losgehen, und so marschieren wir gleich nach dem Aufstehen zum nächsten Geldautomaten.
In der kleinen Kabine der Baroda-Bank schiebe ich meine Maestro-Karte in den Automaten. Sie funktioniert natürlich … nicht. Ich versuche es mit meiner Kreditkarte.
Ratter, ratter …
Schon erwarte ich, dass der Vorgang abgebrochen wird, aber … der Automat fragt mich plötzlich, wie viel Geld ich abheben will!
Meine Hände zittern vor Aufregung. Ich gebe die maximale Summe von umgerechnet zirka 80 Euro ein, die man mit der EC-Karte abheben kann. Es rattert und wenige Sekunden später, wir trauen unseren Augen kaum, spuckt das Gerät tatsächlich Geldscheine aus.
Wir jubeln. „Yeah, it works!“
Jetzt ist Anne an der Reihe. „Endlich – jetzt kann ich Tauchen gehen!“
Dann probieren wir es erneut, denn für so eine Inselwoche braucht man sicher etwas mehr Geld. Der Baroda-Bank-Automat gibt brav die Scheine aus.
Nun wieder Anne.
Dann ich.
Anne.
Ich.
Anne.
Ich.
Wir sind im Taumel. Im Geldrausch. Kriegen einen Lachanfall. Packen unsere Bauchtaschen und Geldbörsen voll mit dem schnöden Mammon.
„Nie wieder, nie wieder Geld-Automaten-Frust!“, rufe ich und wische mir die Lachtränen aus den Augen.
Anne holt die Clownsnase raus. „Tauchen kostet mehr als Schnorcheln“, sagt sie, zuckt mit den Schultern und macht weiter.

Danach gönnen wir uns am frühen Vormittag in einem Restaurant ein Bier – so was gibt es sonst auch nicht in Indien.
Ich muss immer noch lachen. „Wie kann es sein, dass es genau einen Tag vor dem Inseltrip klappt? Wir hatten doch die Hoffnung schon aufgegeben!“
Anne wischt sich den Bierschaum von den Lippen. „Et bliev nix wie et wor, will uns Indien sagen.“
Stimmt. Artikel 5 hatten wir ganz vergessen.
Ich will noch ein Bier bestellen.
Anne winkt ab. „Nee, lass mal: Maach et got, ävver nit zo off.“

Nun haben wir fast alle Kölschen Grundgesetze durch.
Kochi und Köln haben offenbar wirklich viel gemeinsam.

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