Kochi, Kunst und Kohle

Kochi, die zweitgrößte Stadt in Kerala, hat mit Köln nicht nur den Anfangsbuchstaben gemein, sondern auch die „Schälsick“ … Also, Halbinseln, genauer gesagt. Hier trennt allerdings nicht ein Fluss die Stadtteile, sondern das Arabische Meer. Kochi vorgelagert sind einige Inseln.

Wir kommen auf dem Festland in einem Stadtteil namens Ernakulam an, fahren mit dem Bus auf großen Straßen an Gewerbegebieten und hässlichen Häuserkomplexen vorbei. In diesem Viertel haben Anne und ich einen Termin in der Reiseagentur, bei der wir nach viel Hin und Her eine Schiffsreise zu den benachbarten Lakkadiven reserviert haben. Jetzt wollen wir buchen.
„Ich freu mich so auf die Fische“, sagt Anne. „Und wenn es mit der Tauchbasis klappt, dann mache ich dort meinen Advanced Open Water Diver!“

Eine enge Außentreppe führt in das Büro, das den Look einer Garage besitzt. Von den niedrigen Decken hängen Leuchtstoffröhren und ein paar staubige Girlanden, die an das noch nicht lange vergangene Weihnachtsfest erinnern. Es fällt mir schwer, mir hier festive Stimmung vorzustellen. Ein Dutzend Mitarbeiter blicken angestrengt auf ihre Monitore und klappern brav in ihre Tasten.

Unsere zuständige Beraterin zählt die Eckdaten zu unserem geplanten einwöchigen Ausflug auf die Insel Kadmat auf: Doppelzimmer, Verpflegung inklusive, Anreise per Schiff, Geld sollten wir vorher abheben, da es auf der Insel keine Möglichkeit gibt …
„Es gibt keinen Geldautomaten auf der Insel?“, unterbricht Anne sie auf Englisch und hat sofort eine steile Problemfalte auf der Stirn. „Wie soll ich denn dann die Tauchbasis bezahlen?“
„Only cash“, betont die Mitarbeiterin. „But no problem, you can get money from the machine here.” Sie zeigt auf die andere Straßenseite.
„No, it‘s not possible!” Ich berichte von unseren gescheiterten Versuchen in den letzten zwei Wochen, Geld abzuheben. Meine Maestro-Karte macht es schon seit Varkala nicht mehr und mit ihrer kann Anne rund 80 Euro ziehen. Mehr bekommt man nur mit der Kreditkarte – und unsere haben in Indien noch bei keinem Automaten funktioniert.
Die Dame bleibt gelassen. „You have a credit card?”
„Yes. But it doesn‘t work …”
„No problem.“ Sie lächelt und bittet mich, ihr meine Karte zu zeigen. Nach einem kurzen Blick schiebt sie das Plastikgeld in ihr portables Bezahlgerät und gibt den Reisepreis für unseren Inseltrip ein. Das Gerät druckt knatternd einen Bon aus. Strahlend wackelt sie mit dem Kopf. „It works!“
Zumindest die Reise nach Kadmat ist gebongt.
Aber woher soll Bares fließen fürs Tauchen und Schnorcheln, dem eigentlichen Grund unseres Ausflugs?

Wir begeben uns auf die andere Straßenseite und versuchen es mit unseren Geldkarten der Reihe nach an jedem der vielen Automaten und in den Bankfilialen, die es in dieser nicht enden wollenden Geschäftsstraße gibt. Vergeblich. Selbst die Kreditkarte, mit der ich eben noch im Reisebüro gebucht habe, versagt konsequent ihren Dienst. Auch Anne kann nicht eine Rupie abheben.
„Wat soll dä Kwatsch?“, sage ich.
„Wat wells de maache?“, antwortet Anne. „Shit – trotz aller Gelassenheit im Kölschen Grundgesetz finde ich es wirklich doof, dass ich auf eine Trauminsel fahre und dort kein Geld zum Tauchen habe.“
Ich verziehe das Gesicht beim Anblick in mein Portemonnaie.
„Haha. Da laachs de disch kapott!“, sage ich und kann die Bitterkeit in meiner Stimme nicht verbergen. „Unsere Grundgesetze helfen jetzt auch nicht weiter. Wir brauchen Kohle!“
„Die treffen doch gerade sehr zu.“ Anne grinst. „Et es wie et es.“
„Ich hab Durst“, maule ich. “Ein Kaffee oder Tee wäre zur Abwechslung nicht schlecht. Drinks de ejne met?“
Wir bestellen am nächsten Büdchen heißen Chai.

Über eine lange Brücke lassen wir uns dann mit dem Tuk-Tuk auf die Halbinsel Fort Cochin bringen. Kleine Gassen, Häuser mit kolonialem Flair, Restaurants, sogar Cafés gibt es hier. Schnell hellt sich unsere Stimmung auf, wir suchen ein Zimmer und spazieren durch diesen zauberhaft schönen Ort zur Kaimauer mit den chinesischen Fischernetzen am Strand.
Es sind relativ viele Touristen unterwegs, denn zurzeit findet die Internationale Kunst-Biennale statt. Da müssen wir hin! Das Ticket kostet nur 150 Rupien. Keine Frage, da simmer dabei – und vergessen im Kunstrausch unsere Geldprobleme für einige Zeit.

Am Morgen holen sie uns wieder ein, denn schon am nächsten Tag soll die Reise losgehen, und so marschieren wir gleich nach dem Aufstehen zum nächsten Geldautomaten.
In der kleinen Kabine der Baroda-Bank schiebe ich meine Maestro-Karte in den Automaten. Sie funktioniert natürlich … nicht. Ich versuche es mit meiner Kreditkarte.
Ratter, ratter …
Schon erwarte ich, dass der Vorgang abgebrochen wird, aber … der Automat fragt mich plötzlich, wie viel Geld ich abheben will!
Meine Hände zittern vor Aufregung. Ich gebe die maximale Summe von umgerechnet zirka 80 Euro ein, die man mit der EC-Karte abheben kann. Es rattert und wenige Sekunden später, wir trauen unseren Augen kaum, spuckt das Gerät tatsächlich Geldscheine aus.
Wir jubeln. „Yeah, it works!“
Jetzt ist Anne an der Reihe. „Endlich – jetzt kann ich Tauchen gehen!“
Dann probieren wir es erneut, denn für so eine Inselwoche braucht man sicher etwas mehr Geld. Der Baroda-Bank-Automat gibt brav die Scheine aus.
Nun wieder Anne.
Dann ich.
Anne.
Ich.
Anne.
Ich.
Wir sind im Taumel. Im Geldrausch. Kriegen einen Lachanfall. Packen unsere Bauchtaschen und Geldbörsen voll mit dem schnöden Mammon.
„Nie wieder, nie wieder Geld-Automaten-Frust!“, rufe ich und wische mir die Lachtränen aus den Augen.
Anne holt die Clownsnase raus. „Tauchen kostet mehr als Schnorcheln“, sagt sie, zuckt mit den Schultern und macht weiter.

Danach gönnen wir uns am frühen Vormittag in einem Restaurant ein Bier – so was gibt es sonst auch nicht in Indien.
Ich muss immer noch lachen. „Wie kann es sein, dass es genau einen Tag vor dem Inseltrip klappt? Wir hatten doch die Hoffnung schon aufgegeben!“
Anne wischt sich den Bierschaum von den Lippen. „Et bliev nix wie et wor, will uns Indien sagen.“
Stimmt. Artikel 5 hatten wir ganz vergessen.
Ich will noch ein Bier bestellen.
Anne winkt ab. „Nee, lass mal: Maach et got, ävver nit zo off.“

Nun haben wir fast alle Kölschen Grundgesetze durch.
Kochi und Köln haben offenbar wirklich viel gemeinsam.

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Komm nach Kumily!

Als die letzten kühlen Drinks aus diesem Fenster an der Bushaltestelle gereicht wurden,
war diese junge Frau noch nicht geboren.
Indien AK 1020

Schulkinder sind gehalten, bei nahenden Bussen die Beine in die Hand zu nehmen.
Indien PN 538

Schön, dachte sich Petra, kurz vor dem Tod noch einmal der Kraft der Natur ins pralle Auge zu sehen.
Indien AK 1055

Die Teeplantagen bewegen sich so schnell, dass man sie kaum aufs Bild gebannt kriegt.
Indien PN 554

Petra denkt spontan darüber nach, eine Ananasdiät zu beginnen.
Indien PN 571

Eine schöne Frau entstellt nichts.
Indien PN 593

Im Dschungel wird Anne oft für eine Holländerin gehalten.
Indien PN 452

Welches Tier siehst du?
Indien AK 1197

Der Vergleich mit Petras Schuh zeigt: Dieser Elefant müsste mindestens Schuhgröße 57 haben.
Indien PN 450

Petra mit Blutegelbeinschützern auf der Sperre, die das Dorf vor Rüsselträgern schützt.
Noch Fragen?
Indien AK 1191

Kaffee gefällig? Draußen nur Böhnchen.
Indien AK 1081

Wir wissen nicht, wie es euch geht, aber wir haben bei diesem Anblick schmutzige Gedanken.
Indien PN 389

12 Uhr mittags. Petra nimmt die Fährte des Tigers auf.
Indien AK 1259

4000 Kalorien später.
Indien AK 1225

Das Leben kann so schön sein.
Indien PN 462

Hätte Anne geahnt, dass die Spinne nach dem Mittagsschläfchen besonders angriffslustig ist, wäre sie für dieses Foto nicht bis auf zehn Zentimeter herangerückt.
Indien AK 1267

Die Kuh, auf der wir hergeritten sind, hat es nicht mehr lange gemacht.
Indien AK 1294

Hätte Anne geahnt, dass die Schlange nach dem Nickerchen besonders angriffslustig ist, wäre sie für dieses Foto nicht bis auf zehn Zentimeter herangerückt.
Indien AK 1313

Das Leben kann so schön sein, Teil 2.
Indien PN 490

Wer hat den längsten?
Indien PN 505

Besuch.
Indien PN 506

Waschtag.
Indien PN 536

Eine der begehrtesten Wohnlagen in Kumily ist rund um den Busbahnhof.
Indien AK 1367

Die drei von der Haltestelle.
Indien AK 1441

Man sieht es nicht, aber der Papierkorb steht direkt neben der Fotografin.
Indien PN 503

Kumily für Dekoqueens: So machen Sie Ihre Sonnenterrasse frühjahrsfrisch.
Indien AK 1358

Ab sofort lässt Anne wirklich alles auf der Straße machen.
Indien PN 400

Wer Kokosnuss auf indische Weise reibt, hat das Gefühl, auf einem fliegenden Teppich zu sitzen.
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Durch Showkochen ist Anne leicht zu beeindrucken.
Indien PN 423

Diese zwei Frauen leiden gern unter Magenerweiterung: Zwei Mal die Bauarbeiter-Portion, bitte.
Indien AK 1173

Anne isst nicht nur gerne.
Indien PN 504

Backwaters: Backbord und Steuerbord

Kollam ist sehr hässlich. Die Landschaft drumrum geht so.
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Einigen gehen die Backwaters wirklich am Arsch vorbei.
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Malerische Ansichten sind schön, machen aber dem Modell viel Arbeit.
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Boah, ist das übertrieben. Jetzt muss es sich auch noch spiegeln.
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Endlich: eine hässliche Brücke.
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Über rosa Brücken musst du gehen. Jedenfalls, wenn du zum Ashram willst.
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Bridge über untroubled water.
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Anne wurde eingesperrt. Aber Schwamm drüber.
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Entgegen anderslautenden Gerüchten hat Petra zwei Tage im Ashram verbracht. Nicht in der Ausnüchterungszelle der örtlichen Polizei.
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Am ashrameigenen Strandabschnitt kommt die frische Brise vom Meer, nicht vom Müll.
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Bei so viel Spiritualität fühlt sich Petra ganz klein.
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Der Clown weiß: Wir sind alle nur Sandkörner am Strand des Lebens.
Und aus einigen von uns werden Lingams.
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Petra bedauert es ausgesprochen, den Ashram verlassen zu müssen.
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Warteschlange am chinesischen Fischernetz für alle, die das Seafood-Menü gewählt haben.
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Das müssen Petras Fans sein. Denn Annes sind grau und heißen Tauben.
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Für Hindus wird das Mittagessen gleich mit der Tageszeitung ausgeliefert: äußerlich und räumlich nah beieinander – geschmacklich liegen Welten dazwischen.
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Als Seemann ist man auf den Backwaters Mädchen für alles: Auch für Seerosen, die sich in der Schiffsschraube verheddern.
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Nix als Landschaft. Auch bei Sonnenuntergang sosolala.
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Auf einem Jahrmarkt in Alleppey treffen wir Petras Lieblingsdiscostars aus den Siebzigern.
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Noch Fragen?
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Kokosnusskäfer werden bis zu zwei Meter groß. Leider können wir das nicht beweisen.
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Die Backwaters versprühen an manchen Tagen den stillen Charme einer sechsspurigen Autobahn.
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Willkommen bei unserem Bootsmann daheim. Mutti hat gekocht.
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Die Reiskantine ist gleich nebenan.
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Anne hat die Nase heute passend zum Hut ihrer Mitreisenden gewählt.
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Suchbild mit Reihern.
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Heinz, isch sage dir: Dat Wasser wird auch nit frischer.
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Samosa-Drive-In.
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Landschaft, Landschaft, Landschaft. Wann sind wir endlich wieder in Kölle?
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Plötzlich fällt Petra auf: Das Boot könnte mal wieder gestrichen werden.
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Noch glaubt Petra, dass Anne sie nicht belogen hat, als sie sagte: Es gibt nur ein Paddel.
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Och nee, ne?
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Bei diesem Anblick denkt Anne spontan an ihre Waschmaschine.
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Arbeit und Muse liegen dicht beieinander.
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Erna, halt die Kinder zusammen. Dat Floß kütt.
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Man glaubt es kaum, aber dies ist ein Kanal.
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Frohe Weihnachten.
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Dies ist der Beginn einer gierigen Zeit.
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Die Kleinfamilie und die große, dicke Frau.
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Noch mal: Schönes Fest!
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Von hinten wie von vorne A.M.M.A.

Wir sind auf den Backwaters Keralas unterwegs in den Ashram der Amma, einem der wenigen weiblichen Gurus Indiens.
Ich habe noch nie einen getroffen, weder einen männlichen noch einen weiblichen. Und bei all der Spiritualität muss hier doch ein Funke des Kölschen Grundgesetzes zu entdecken sein.
Und dann ist da noch ein Gedanke: „Ob man auch in meinem Alter noch Guru werden kann?“, überlege ich.
„But why?“, fragt Petra und fächelt sich mit ihrem Reiseführer Luft zu. Eine Frage, die in Indien so ziemlich auf alles passt.

„Die haben ein angenehmes Leben, die Arbeit hält sich in Grenzen und sie haben immer Gesellschaft“, sage ich. „Außerdem können sie ihren Anhängern vorschreiben, was die tun sollen. Ich würde direkt mal ansagen, dass tierische Produkte out sind, Kokosraspeln und Polentaklößchen auf der schwarzen Liste stehen und dass bei meinen Zeremonien Depeche Mode gespielt wird. Noch Fragen?“
Petra grinst und schüttelt den Kopf.
„Guru kann man doch nicht werden“, sagt sie. „Guru ist man. Das war die Amma schon, als sie noch ganz klein war.“
Muss sie meine Hoffnung auf eine berufliche Fortentwicklung so rasch zerstören?

Gegen zwölf legen wir zu einem einfachen, aber köstlichen Mittagessen an. Neben gekochtem Reis duftet es aus den Töpfen nach Sambar, es gibt ein Curry mit grünem Gemüse, das ich als irgendetwas zwischen einer Bohne und einer Okraschote identifiziere, dazu scharfe rote Sauce mit eingelegten Limetten und Papadams.
Hoffentlich gibt’s im Ashram ordentliches Essen, denke ich. Das hält immerhin auch im Rheinland Leib und Seele zusammen. Wäre ich der Guru, würde ich so etwas wie das hier verordnen. Aber ich vergaß – das wollte ich mir ja abschminken.

Nach dem Futtern geht es noch eine Stunde weiter zwischen Palmen und einfachen Hütten über die ruhigen Fluten, bis linkerhand die rosa Hochhäuser des Ashrams auftauchen.
Wenig später gehen wir über die prächtige Brücke, die auf die Halbinsel führt, auf der die Mission liegt.

Nach dem Bezug des spartanisch eingerichteten, aber sauberen Zimmers im fünften Stock eines der rosa Ashramtürme, führt uns ein weiß gewandeter Holländer, der schon seit zehn Jahren hier lebt, über das Gelände. Die Amma hat zahlreiche soziale Projekte angestoßen und scheint in so ziemlich jeder Notlage zu helfen, sei es bei Erdbeben, Überschwemmung oder Bildungskatastrophe.
Check, denke ich: Wenn ich erst Guru bin, dann mache ich das auch. Ich muss nur rausfinden, was das Rezept der Amma ist. Dann kann ich es kopieren.

„Ihr hätt Glück, die Amma ist da“, erklärt uns eine Deutsche. „Bald macht sie ihre Tour dursch dä Süde, da hätt ihr kei Darshan bekomme.“
Darshan?
„Der Darshan ist eine Umarmung, jeder will des habe – des is das Special von de Amma“, sagt die Frau und lacht. „Des könnt ihr euch heut Abend glei gebe lasse, nach der Meditation am Strand.“
Am Strand?! Vielleicht geht da doch noch was für Quereinsteiger. Ich muss nur gut aufpassen und mir ein eigenes Special ausdenken. Wat däm ein sing Ül eß däm andere sing Naachtijall. Wär doch gelacht – der mache ich Konkurrenz!
„Ich könnt was essen“, sagt Petra.
Doch die Führung über das Gelände dauert so lange, dass wir sonst die Abendmeditation verpassen. Mit knurrenden Mägen eilen wir an den Strand.

Hunderte anderer Menschen sitzen schon auf Plastikstühlchen um ein Podest am Strand herum. Über uns in den Kokospalmen krächzen die Raben.
Kurz nachdem wir Platz genommen haben, geht ein Raunen durch die Menge. Die Leute erheben sich, ein Trupp Personenschützer rückt an, in der Mitte eine kleine rundliche Frau im Sari.
Also das mit den Wächtern finde ich doof. Wenn ich erst Guru bin, wird das abgeschafft.

Als die Amma auf dem Podest Platz genommen hat, beruhigt sich die Menge langsam, dann beginnt die Meditation.
Neben mir höre ich nach einer Weile ein Rascheln und Kichern. Ich pliense unter den geschlossenen Lidern hervor. Der weiß gekleidete Typ vor mir dreht sich um und grinst breit. Ich schaue zu Petra, die sich neben mir irritiert über den Kopf streicht und dann ihre Hand ansieht.
„Also, ich habe meinen Segen schon“, flüstert sie mir zu. „Mich hat gerade ein Rabe angekackt.“
Ehrlich gesagt: Ich finde, das ist viel lustiger als die Meditation.

Am Ende der Meditation stellt jemand Amma eine Frage und sie antwortet sehr ausführlich. Petras Magen rumort. Jemand übersetzt ausufernd, und bei mir macht sich die Langeweile breit. Alle lächeln beseelt. Mein Magen rumort.
„Wer nur heute hier ist, bekommt jetzt einen Darshan!“, ruft der Ansager schließlich. „Morgen gibt es noch mal Darshan nach dem abendlichen Mantrasingen. Mittags teilt Amma Prasad aus – gesegnetes Essen.“
Morgen?! Ehrlich gesagt, ich würde auch gleich ein Essen nehmen. Ich habe nämlich jetzt ernsthaft Hunger. Und umarmt werde ich sowieso am liebsten von meinen Freunden.

Um die ganze Erfahrung mitzunehmen und weil wir morgen wieder abreisen, stellen wir uns in die Schlange, die schon lang ist und immer weiter anwächst.
Mannomann, das muss ja eine tolle Umarmung sein, so wie die sich hier alle danach strecken. Vielleicht gibt’s ja doch was zu essen. Ich könnte.
Also bei mir gäbe es einen Automaten, an dem man Nümmerchen ziehen kann. Dann könnten alle im Sitzen warten. Je näher wir kommen, umso deutlicher wird der Herdencharakter der ganzen Veranstaltung: Die Wächter der Amma ziehen die Leute heran.
„Where you from, where you from?“, höre ich sie rufen.
Plötzlich bin ich dran.
Unsanft werde ich an die Brust der Amma geschubst.
„MeineLiebemeineliebemeineliebe“, murmelt sie mir ins Ohr.
Dann drückt sie mir etwas in die Hand und ich werde zur Seite gedrängt.
„Was ist das eigentlich?“, fragt ich Petra, als wir uns ein paar Meter weiter wiedersehen.
Das Päckchen entpuppt sich als ein Tütchen voller – wahrscheinlich heiliger – Asche und ein Zückerchen.
„Ich muss jetzt dringend was essen“, sage ich. „Und zwar mehr als ein Bonbon.“
Petra nickt. „Lecker Kölsch wäre auch schön.“
Aber natürlich ist das hier verboten.
„Das wird bei mir alles anders“, fange ich an, doch Petra hebt die Hand.
„Du willst doch nicht wirklich Guru werden“, sagt sie.
Die Stimme der Vernunft.
Ich überlege.
Die Personenschützer.
Die rosa Gefolgstürme.
Die langen Meditationszeiten
Und vor allem die Bierlosigkeit.
Wenn ich all das verändere, ist es einfach kein Ashram mehr.
Und ich hätte wirklich mal wieder Lust auf ein lecker Bierchen.
„Lass uns morgen abreisen“, sage ich schließlich zu Petra. „Die Karawane zieht weiter, der Guru hät Durst.“

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Zusatzartikel: „Nit alles, wat en Loch hät, is kapott“

„Such du dir einen aus“, sage ich zu Petra, immer noch ein wenig müde vom guten Essen im Coffee Temple in Varkala.
Wir haben beschlossen, mit dem Taxi nach Kollam, dem früheren Quilon, zu fahren. Die Kerle mit den kleinen Wagen stehen erwartungsvoll in einer Reihe.
„Wann hat man das schon mal?“, meint Petra. „An Männern mangelt es hier ja nicht.“
Und das gilt nicht nur für Taxifahrer.
Viel mehr Männer als Frauen hängen auf der Straße ab.

Auch das beste Stück des Mannes ist überrepräsentiert. Viele der Tempel in Tamil Nadu sind dem Lingam von Shiva gewidmet. Es gibt Steinpenisse in allen Größen und für jeden Geschmack. Sogar der Lonely Planet verspritzt angesichts schöner Exemplare eine Ladung fast poetisch anmutender Worte: Der Strandtempel in Mamallapuram habe zwei Dächer, las ich dort, auf deren Spitzen Shivas Penisse prangen, und diese „original Lingams fangen den Sonnenaufgang und -untergang wunderbar ein.“ Wie soll denn in so einem Penis was untergehen? Dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist, wissen im Grunde auch die Hindus. Manchmal wird der Lingam daher mit Yoni drumherum dargestellt – dann baden die Priester und Gläubigen die Skulptur auch gern mal in flüssiger Butter. Im Sri-Menaakshi-Tempel in Madurai wurde allerdings jüngst der gute Brauch verboten, dass die Gläubigen mit Butterkugeln nach dem besten Stück warfen: wegen der Rutschgefahr.

Der Geschlechtsakt ist also in Indien von kulinarisch-spiritueller Bedeutung: Mit kopulierenden Penissen und Vaginas wird die sexuelle Energie angebetet, die zur Erleuchtung führen soll, so hat es mir Christopher erklärt. So schön das klingen mag, die Einheit von Männlichem und Weiblichem und Göttlichem – im indischen Alltag findet man sie nicht wieder.

Männer rufen uns hinterher, ziehen uns in Läden und schieben sich durch die öffentlichen Verkehrsmitteln. Viele sind freundlich, aber manche rotzen auf die Straße, sind laut und schubsen uns beiseite. Diese Männer behandeln uns wie lästige Fliegen. Wie wir in Varkala an der Shoppingmeile erfahren haben, können auch manche Frauen nervig sein – aber sie sind einfach in der Minderheit.

„Ich habe gelesen, wie gefährlich es hierzulande ist, eine Frau zu sein“, sage ich, als wir die Rucksäcke verladen haben und schließlich in den Wagen steigen. Dabei denke ich an Vergewaltigungen, Brautverbrennungen und Touristinnenmorde. „Ich bin schon froh, dass wir zu zweit unterwegs sind.“

Fast jeder, dem ich zuvor von unserer Reise erzählt hatte, fühlte sich befleißigt, die Ängste vor dem Subkontinent zu schüren.
„Oh Gott, Indien!“
„Passt auf, dass ihr nicht vergewaltigt werdet!“
„Warum fahrt ihr nicht nach Teneriffa?“
Die Sorge von Freunden und Bekannten hat sicher mit dem Fall des brutalen Gang Rape einer 23-jährigen Studentin in Delhi im Dezember 2012 zu tun, der durch alle Medien ging. Aber auch ohne Gewalt sieht’s duster aus fürs so genannte schöne Geschlecht. Zwar haben die Frauen in Tamil Nadu und auch in Kerala größere Freiheiten als im Rest des Landes, aber von Gleichberechtigung ist das weit entfernt. Jeden Tag ist auf Seite eins der englischsprachigen indischen Zeitungen von einer Vergewaltigung zu lesen. Zum ersten Mal bin ich froh, dass ich doppelt so groß wie die meisten Männer bin. Was sonst den Kreis möglicher Partner verkleinert, ist hier ein großes Geschenk.

„Ach komm, denk mal an die Chinesin Delia, die wir getroffen haben“, erinnert mich Petra. „Der ging’s doch gut.“
Und auch die Belgierin im letzten Home Stay, denke ich. Aber Belgierinnen und Chinesinnen sind auch aus ganz anderem Holz geschnitzt. Die haut so leicht nichts um.

Was, wenn die gleichen Regeln aus Indien in Deutschland gelten würden? Dann hätte mein Arbeitgeber in Köln mich vielleicht bei Dienstantritt auf meine Jungfräulichkeit hin untersucht – so wie indische Frauen dies vor dem Eintritt in den Polizeidienst über sich ergehen lassen müssen. Oder ich hätte zwar studieren können, wäre aber bei Heirat natürlich ins Heim und an den Herd berufen worden. Nur 10 Prozent der Parlamentarier in Indien sind Frauen. Da ist doch mal eine Quote fällig.

„What’s your good name?“, fragt unser Fahrer.
Als er mir über die Lehne hinweg nach hinten die Hand reicht, ergreife ich sie. Davor warnt der Reiseführer, das weiß ich, aber manchmal mache ich es aus Reflex doch.
Habe ich mich geirrt, oder hat er gerade mit dem Daumen über meine Handinnenfläche gerieben?
Ach komm, das wird schon nichts bedeuten, denke ich mir. Das habe ich mir bestimmt eingebildet.

Nach einiger fruchtloser Plauderei, die an seinem schlechten Englisch scheitert, bei der wir aber erfahren, dass er ledig ist, setzt er uns vor dem Hotel in Quilon ab.
Der Hof vor dem Hotel ist triste, im Rinnstein liegen alte Plastiktüten und Orangenschalen.
Petra geht schon mal vor, um die Unterlagen auszufüllen, ich bleibe mit dem Fahrer zurück, um mich um die Bezahlung zu kümmern.
Ich drücke dem Fahrer einige Scheine in die Hand. Er ergreift meine Rechte, tätschelt mit der Linken zuerst freundlich meine Schulter, so als wollte er mich an sich ziehen. Mit einer aalglatten Bewegung fährt er mir dann plötzlich mit der Linken über meine Brust, ohne meine Hand loszulassen. Mitten auf der Straße, am helllichten Tag. Vor einigen Tagen habe ich Petra erklärt, da solle nur mal einer versuchen, mich anzutatschen. Und jetzt? Stehe ich da wie vom Donner gerührt. Meine linke Gehirnhälfte möchte ihm gerne eine knallen, meine rechte verharrt in der Schockstarre, während ich ihn seelenruhig in sein Taxi steigen und davonfahren sehe.

Petra, die aus dem Hoteleingang kommt, will gut gelaunt ihren Rucksack ergreifen. Sie sieht mich an. „Was ist denn?“
„Der Typ eben …“, sage ich und erzähle ihr von dem unerfreulichen Erlebnis. „Das gibt’s doch nicht!“
„Ab jetzt nur noch Namaste mit zusammengelegten Händen“, sagt sie pragmatisch. „Und Abstand halten.“
Weil die Stadt Kollam recht unansehnlich ist und das Erlebnis noch nachwirkt, reden wir an diesem Tag lange darüber, wie sehr Indien in Hinblick auf Frauenrechte ein echtes Entwicklungsland ist. Vieles hier ist wunderbar, wir haben zauberhafte Menschen getroffen – männlichen und weiblichen Geschlechts -, aber eben auch viel Unrecht und Ungleichheit gesehen. Und heute bin ich wie schon oft froh und dankbar, in einem fortschrittlicheren Teil der Welt zu leben. In Köln.

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Wein, Weib, Varkala

Unser Zug sticht aus den Fortbewegungsmitteln Indiens sofort heraus. Er ist genauso bequem und sauber wie er rosa ist und von einem Einhorn gezogen wird.
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Selbst durch den roten Nasenfilter kann dieses Reisegruppenmitglied die Zugtoilette riechen.
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Diese Menschen wissen, wo sie einsteigen.
Wir wüssten gerne, wo wir aussteigen.
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In Varkala angekommen überlegen wir sofort ein Remake von „The Fog – Nebel des Grauens“ zu drehen. Dann fallen uns nach der langen Zugfahrt die Augen zu.
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Strandbesucher nehmen sich bei der Ankunft ein Wattebäuschchen, um sich den Schweiß abzutupfen.
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Petra hat sich für das günstige Shopping an der Promenade extra einen großen Rucksack mitgebracht.
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Unser Hotel liegt in praktischer Nähe zum Friedhof.
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Auch hier liegt das Vogelreservat direkt neben der Müllkippe.
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Während die anderen Tauben im Sand umhertollten, hatte Winfried immer ein Auge auf ihre Badelatschen.
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Manche Menschen machen wirklich alles, nur damit man am Strand nicht ihre Cellulite sieht.
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Beste Freundinnen stellen sich den Fluten gemeinsam.
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Von Tamila aus Trichy wissen wir: Das Paar am rechten Bildrand ist bereits mehr als drei Monate verheiratet.
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Bei diesem Anblick ist Anne erleichtert, dass man ihr noch nichts aus den Rippen geschnitten hat.
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Petra nannte ihn sofort Lucky. Anne fiel es schwerer, Freundschaft zu schließen.
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