„Nennen wir es denn jetzt Pondicherry oder Puducherry?“, fragt Petra.
Ich zucke mit den Achseln. „Keine Ahnung … Pondicherry? Pudu klingt in meinen Ohren etwas nach Pudel – und cherry, kommt das von Kirsche oder von Chérie?“
Diese Umbenennerei – Bombay in Mumbai, Madras in Chennai – ist verwirrend. Ja, sicher ist es sinnvoll, sich von den ehemaligen Besatzern durch die indischen Städtenamen abzugrenzen. Aber ändert das nicht genau so wenig wie die Umbenennung vom Arbeitsamt in „Ihre Agentur für Arbeit“, wenn die meisten Einheimischen, mit denen wir gesprochen haben, nach wie vor die alten Namen verwenden?
Ob Pondi oder Pudu, in der ehemaligen Hauptstadt von Französisch-Indien fühlen wir uns sofort pudelwohl. Es mag an den farbenfrohen Kolonialbauten in der Altstadt liegen, am geschäftigen Treiben oder auch daran, dass der Wirt vom Guest House Taucher ist wie ich (eine kleine Fachsimpelei über die besten Tauchgebiete ist im Check-in inbegriffen) – und seine Frau gutes Englisch mit französischem Akzent spricht. (Eigentlich ist dieser Blog werbefrei, aber hier ist es einfach zauberhaft: www.dumasguesthouse.com. Wann immer ihr mal in der Gegend seid: Mit seinem grünen Innenhof, den schön gestalteten Zimmern und dem freundlichen Service ist das Dumas Guest House eine gute Wahl.)
In jedem Fall freuen wir uns auf die Zeit, die wir hier verbringen werden. Und wir sehen – nach langer Zeit der Abstinenz – einem Event besonders entgegen: einem gemütlichen Glas Wein am Abend.
Wie wir darauf kommen, dass es hier guten gibt?
Pondi ist wie Kölle: Der Ashram von Sri Aurobindo ist so in die Stadt verwoben und so reich, dass er uns an den Kölschen Klüngel erinnert – die Stadt ist sozusagen auromatisiert. Auch in Puducherry ist kürzlich ein öffentliches Gebäude eingestürzt – allerdings das Rathaus, nicht das Stadtarchiv. Und Pondi teilt mit Kölle die französische Besatzungsvergangenheit.
Wegen dieser französischen Vergangenheit soll man hier einen guten Wein bekommen können, besser als an jedem anderen Ort in Indien. Also machen wir uns, als es dunkel wird, auf in eine vergleichsweise noble Bar in der Nachbarschaft unseres Guest House.
Ein junger Mann im gestärkten weißen Hemd und schwarzer Kellnerhose bringt uns die Karte.
„We have three red wines“, erklärt er, schlägt die Karte auf und deutet mit der rechten Hand auf die Auswahl an Weinen. „Which one you prefer?“
Petra und ich schauen näher hin. Ein südafrikanischer mit Mountains im Namen, ein Rioja und der Hauswein ohne genaue Herkunftsbezeichnung.
„We like the South-African“, sagt Petra, nachdem wir uns kurz beraten haben. Südafrikanische Weine halten wir beide für narrensicher.
Der Kellner geht und kommt kurze Zeit darauf zurück mit einer Serviette über dem Arm und einer Flasche mit Schraubverschluss, die er uns mit höflicher Geste präsentiert. Mit Schmackes stellt er zwei Gläser auf den Tisch und schenkt in eines einen Schluck Wein ein.
Petra trinkt und reicht mir das Glas.
„Das schmeckt ja grauenhaft“, sagt sie, in einem Ton, als würde sie einfach nur interessiert mein fachliches Urteil einholen. „Ich bin zwar kein Weinkenner, aber das kriegt doch kein Mensch runter. Probier mal.“
Ich nehme das Glas und trinke. Wirklich erstaunlich, irgendwie … toxisch.
„Sorry, we don’t like it“, sagt Petra, aber so schnell will sie nicht aufgeben. „Can we try the Spanish wine, Mister?“
Es dauert keine Minute, bis er uns eine weitere Flasche präsentiert. Die Geste, mit der er elegant eine Kostprobe einschenkt, verheißt einen trockenen Rotwein mit Aromen von Kirschen und Vanille.
Ich nippe und bin mir sofort klar: Dagegen schmeckt der billigste Fusel wie die Nummer eins im Gault Millau.
„Äh, was machen wir denn jetzt?“ Ich schaue Petra hilflos an. „Was, wenn uns der dritte auch nicht schmeckt?“
„Der muss doch gut sein“, sagt sie. „Immerhin ist es der Hauswein, und den muss man als Restaurant sorgfältig auswählen. Sonst zeigt man, dass man keine Ahnung hat.“
Sie sieht den Kellner mit unschuldigem Blick an. „Sorry, can we taste the house wine?“
Der Kellner lächelt angestrengt und bringt die dritte Flasche.
„You like it?“, fragt er.
Petra und ich nehmen jeder einen Schluck. Es schmeckt, als wenn jemand Traubensaft mit Motoröl versetzt hat.
Wir sehen uns an.
„Den können wir doch nicht bestellen“, sagt Petra. „Davon kriege ich keinen Tropfen runter.“
Aber wie vermitteln wir das dem Kellner?
„It tastes like … petroleum“, sagt Petra nach kurzem Zögern und schenkt dem Kellner ihr schönstes Lächeln. „Can we have a beer instead?“
Der Kellner wirkt ein wenig perplex, bleibt aber freundlich. „Sure, Madam.“
Als er weg ist, muss ich lachen. „Petroleum?“
„Naja“, meint Petra. „Soll man lügen?“
Als der Kellner zwei Fisherking-Biere bringt, sagt sie: „Spiritus sollte man nicht aus Rücksicht auf die Gefühle des Kellners trinken. Sondern lieber etwas, das Leib und Seele zusammen hält: Mer muss sich och jet jünne könne.“
Und mit diesen Worten stoßen wir an. Zwar nicht wie echte Ladys, weil die vielleicht auch das Wein-Desaster mit Würde genommen hätten. Dafür aber mit dem guten Geschmack nach Bier auf der Zunge, Chérie.
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* Nachtrag vom 01.02.2024:
Diese Zeilen zur Um- und (im Fall von Puducherry) Rückbenennung kommen mir heute nicht nur zu flapsig vor, ich finde sie ignorant. Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Ich hätte damals mindestens erwähnen können, dass in der lokalen Sprache Tamil „Puducherry“ (புதுச்சேரி) „neues Dorf“ bedeutet. Ich hätte mich besser über die Auswirkungen des Kolonialismus informieren können, die Puducherry ab 1673 erlitt: Dann nämlich, als die Französische Ostindienkompanie dem Sultan von Bijapur das Städchen am Meer abkaufte. Ein ganzer Ort – nun einfach im Besitz von Kaufleuten! Wirtschaftsinteressen und Fremdherrschaft, die das Schicksal der Menschen dort bestimmen. Habe ich nicht geschrieben – ich war bedauerlicherweise zu sehr mit den unmittelbaren Eindrücken der Reise beschäftigt, also mit mir selbst.
In den letzten Jahren habe ich vieles nachgeholt und mir Gedanken gemacht. Und mich viel mit Fragen der Wirkung von Sprache beschäftigt, mit Rassismen in der Sprache, mit Gendergerechtigkeit und anderem. Ich habe selbst wahrgenommen, wie gut eine gerechtere und achtsame Sprache tut. Und wie verletztend und einschränkend verächtliche Kommentare und Fremdbezeichnungen sein können. Umso wichtiger finde ich heute, die Rückbenennung von Pondicherry in Puducherry ernst zu nehmen. Diese als verwirrend abzutun – damit habe ich es mir zu leicht gemacht.
Die Kolonialzeit prägt nicht nur das äußere Erscheinungsbild von Puducherry bis heute. Der Kolonialismus hat weltweit Wunden hinterlassen, vielerorts instabile Regierungen, wirtschaftliche Schwäche und andauernde Konflikte (wie etwa zwischen Indien und Pakistan) ausgelöst. Gerade Weiße Menschen, die in Europa geboren wurden und deswegen durch die Auswirkungen des Kolonialismus bis heute in vielerlei Weise privilegiert sind, sollten diesem Umstand mehr Aufmerksamkeit schenken, ihm mit mehr Demut und Anstand begegnen. Doch wir haben durch unsere Sozialisation, unser Umfeld häufig einen eingebauten Sehfehler: Wir sehen unsere Privilegien nicht.
Was wir in Puducherry zumeist auf den ersten Blick schön finden (vermutlich auch, weil es uns vertraut vorkommt), sind eigentlich Narben, die kaum verheilt sind. Die Gebäude, die wir im Vorübergehen bewundern, wurden von reichen Weißen Menschen gebaut und bewohnt, die Land und Leute geringschätzten, sie als Wirtschaftsgut betrachteten und ausbeuteten. Wie anders sähe eine Stadt wie Puducherry heute aus, hätte sich die Kolonialzeit nicht dort abgespielt, die Franzosen sich nicht daran bereichert? (Ich verwende hier nur den männlichen Begriff, denn all dies spielt sich unter einem französischen König, französischen Handelsherren und, was Puducherry angeht, insbesondere unter dem französischen Generalgouverneur François Martin ab.)
Das Nichtwissen oder auch: touristische Nichtwissenwollen und Abschütteln, die Ignoranz, die ich in meinem Text heute wahrnehme, macht mich demütig, sie beschämt mich beim Lesen. Ich hätte das in meiner Geschichte beheben können, hätte so tun können, als hätte ich es nie geschrieben. Aber wir alle können lernen. Und um das zu zeigen, lasse ich den Text oben so stehen und schreibe lieber meine heutigen Gedanken als solche auf.
Danke fürs Lesen! Anne