Tierisch früh unterwegs

„Et es, wie et es“, sagt Petra und gähnt.
Ein schwacher Trost. Et es nämlich kurz vor fünf.

Aus einem mir in diesem Moment nicht nachvollziehbaren Grund habe ich sie am vorherigen Abend überredet, dass wir auf dem Weg nach Pondicherry den Vogelpark Vedanthangal besuchen. Und wer Vögeln beim Aufstehen zuschauen will, muss halt früh aus den Federn.

In der Dunkelheit vor Tagesanbruch sind nur mildes Knattern von Motoren und einzelne zaghafte Huptöne zu hören. Mamallapuram schläft noch.

Unser Fahrer hievt die Rucksäcke in den Kofferraum.
„Learning“, sagt er und deutet auf einen jungen Mann, der auf den Treppenstufen neben dem Eingang zum Guest House wartet. „Can drive in car together?“
Petra runzelt die Stirn und lässt die Worte in ihr morgendliches Bewusstsein tropfen.
„What?“, fragt sie ihn. Dann dreht sie sich zu mir herum: „Was will er denn nur?“
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht möchte er seinen Freund mitnehmen?“
„No“, sagt Petra entschieden. „He cannot go with us to Vedanthangal.“
„But he leaner“, sagt der Fahrer. „Driving. Come in car.“
„Na, das klingt mir ja etwas undurchsichtig. Das hätte er uns wirklich gestern Abend fragen müssen“, meint sie. „Und überhaupt: Der Reiseführer warnt Frauen davor, dass der Fahrer plötzlich einen zweiten Mann mitnimmt. Vor allem bei Dunkelheit.“
Bestimmt hat sie recht, aber meine Schwelle für Gefahrenwahrnehmung ist wegen der Müdigkeit herabgesetzt. Ich finde, er sieht ungefährlich aus. Jedenfalls, wenn meine Lider mal einen Moment oben bleiben.

„Warum wollte ich da noch mal unbedingt hin?“, frage ich Petra, als wir etwa fünfhundert Meter über die holprige Straße gefahren sind.
„Du wolltest unbedingt Vögel sehen“, sagt Petra. „Und jetzt haben wir den Salat. Der Fahrer entführt uns allein – und wenn er gar nicht vorhatte, uns zu entführen, dann ist er jetzt bestimmt sauer.“
In diesem Moment dreht der Mann sich um.
„Coffee?“, fragt er und lächelt freundlich. Wenn der uns entführen wollte, fresse ich einen Besen. Aber sauer scheint er auch nicht zu sein.
„Drinkste ene mit?“, will Petra wissen, und ich nicke.
Wir halten an und steigen aus. Verrückt, dass hier schon Leute wach sind, aber Frauen streuen mit Reismehl Kolams auf die Straße, und mit dem Rieseln des weißen, roten, blauen, pinken Pulvers entstehen kunstvolle Mandalas oder eben: Vögel. In einer per Neonröhre beleuchteten Bretterbude steht ein Mann, der Kaffee feilbietet. Neben ihm sind Gläser mit Keksen aufgebaut, über ihm hängen Töpfe und allerlei Kräuter.

Der Mann hat ein ziemlich rundes Bäuchlein, aber er bewegt sich grazil wie ein Tänzer. Mit der rechten Hand greift er nach dem Pöttchen, in dem das Wasser auf der Gasflamme brodelt, und streut mit der linken Pulver in drei kleine Gläser. Das Wasser verteilt er über die Gläser, dann nimmt er ein Blechtöpfchen und gießt die dunkle Flüssigkeit so lange geschickt zwischen Glas und Töpfchen hin und her, bis das Gebräu die richtige Temperatur hat. Formvollendet reicht er jedem von uns ein Glas, und es ist genau richtig und schmeckt köstlich. Gerade, weil es so früh ist.

Gestärkt steigen wir ins Auto und diskutieren nun angeregt darüber, ob wir den Jungen hätten mitnehmen sollen, kommen aber zu keinem Schluss: Et es eben, wie et es. Und das scheint auch der Fahrer zu denken, denn er fährt ruhig lächelnd durch die Restnacht.

Eine Stunde später erreichen wir über einen holprigen Feldweg Vedanthangal Bird Sanctuary. Es wird bereits hell. Moskitos stürzen sich auf uns, als wir aus dem Wagen steigen. Das Zwitschern von Vögeln ist zu hören. Dahinein mischt sich das stetige Rauschen der nicht unweit gelegenen Fernstraße.

Neben dem Ticket Office haben einige Verkäufer ihre Waren aufgebaut, grüne Kokosnüsse und Plastikspielzeug – außerdem ist dort ein kleiner Raum, in dem beleuchtete Bilder der gefiederten Freunde hängen, die wir in dem etwa 30 Hektar großen Naturschutzgebiet erspähen können. Unter den Exoten ist auch die so genannte Rock Pidgeon zu finden, die unserer Stadttaube mit den zwei dunkelgrauen Flügelbinden zum Verwechseln ähnlich sieht.

Durch ein kleines Tor gelangen wir in den Park. Ein gepflasterter Weg markiert die Aussichtsstrecke. Von einem kleinen Turm aus haben wir einen fantastischen Blick über das Gebiet, in der Ferne erblicken wir weiße Kraniche. Und dann ist etwas zu hören, das klingt wie der Ruf einer Ringeltaube.

Die Sonne bricht durch die Wolken und färbt den Himmel rosa, majestätisch ziehen einige Schlangenvögel über den See und lassen sich nieder. Aber so nah wie wir gehofft hatten, kommt keiner, und ein Fernglas haben wir nicht mit.

Als wir vom Turm herabsteigen, kommen uns auf dem gepflasterten Weg einige Affen entgegen. Wir bleiben wie angewurzelt stehen und beobachten sie. Einer davon folgt einem andern.
„Guck mal, die wollen …“… spielen, will ich gerade sagen, als der größere Affe den kleineren besteigt.
Wir knipsen die beiden beim Sex, aber das Männchen mag wohl keine Paparazzi. Es fletscht die Zähne und greift uns an. Wir nehmen die Kamera und die Beine in die Hand und rennen Richtung Ausgang.
„Vögel sieht man hier nicht aus der Nähe“, stellt Petra fest, als wir wieder im sicheren Auto sitzen. „Dafür aber Affen, die vögeln.“

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Freunde, wir werden gestalkt!

Wir sind auf dem Weg zu unsrem Hotel in Mamallapuram, als uns ein dringendes menschliches Bedürfnis plagt. Fast haben wir das weiß getünchte Haus mit den schmalen Balkonen schon erreicht, als uns ein fülliger, gut gekleideter Mann in ein Gespräch verwickelt. Zu unserer Verblüffung verrät er uns nach ein wenigen Minuten, dass er Ragul heißt, Reisekaufmann ist und Touren durch den Süden von Indien anbietet.
„I have driver taxi see all beautiful places in Tamil Nadu“, sagt er, während wir von einem Bein aufs andre treten. „You friends sit here I make good price.“
Zwar in Nöten, sind wir dennoch erfreut, in der Fremde so schnell einen Freund gefunden zu haben. Immerhin ist ein ehernes Kölsches Gesetz: Echte Fründe stonn zusammen. Wir setzen uns mit ihm unter eine Palme in der Nähe.
Eine Stunde später eilen wir mit seiner Visitenkarte, unserem Gepäck und in großer Bedrängnis die Treppen zu unserem Zimmer hinauf.

Wir sehen Ragul schon am nächsten Tag wieder. Er winkt fröhlich herüber, als ein Schneider auf der Hauptstraße Petras Rucksackträger repariert. Ach, du liebe Zeit, wie hat der uns denn nur so schnell wieder gefunden?
„When you visit my shop?“, fragt Ragul und lächelte etwas zu breit. „Make good journey, make good price for you, my friend!“

Der Schneider, ein junger Mann ebenmäßigen Gesichtszügen, stellt sich als Subramaniyam vor und versichert uns, dass er uns nichts verkaufen will. Dann bittet er uns in das Geschäft seines Bruders nebenan, einen nach Räucherstäbchen duftenden, mit kleinen Shivafiguren und Silberschmuck voll gestopften Laden. Er wolle uns etwas Wichtiges zeigen. Aus einer Vitrine mit kristallbesetzten Meditationsstäben reicht er uns etwas, das wie eine messingfarbene Salatschüssel aussieht.
„Is good for chakra, you know chakra?“, fragt er und zieht einen mit gemusterter Seide bezogenen Hocker heran. „Sit here, I show you.“
Er bittet mich, die Augen zu schließen und schlägt mit einem filzbezogenen Klöppel an die Salatschüssel, je drei Mal vor meinem Kopf, Hals und Bauch. Es dröhnt stark und ist gar nicht unangenehm. Aus einem unerfindlichen Grund erinnere ich mich plötzlich an meine erste große Liebe, einen Bassisten.
„Is not only good for you but for all your family“, sagt er, nachdem er Chakra-Chakra gemacht hatte. „Five minute every day!“
„What costs it denn?“, frage ich vollkommen überrumpelt, und Subramaniyam zückt Block und Stift, um zu rechnen, und schiebt mir dann den Taschenrechner mit dem Preis in Euro hin: 362, steht dort.
„But I make good price for you, my friend.“
Das kommt mir vage bekannt vor.

Petra übernimmt und manövriert mich aus dem Laden hinaus.
„Wir können keine Einskommafünfkiloschüssel im Rucksack bis nach Mumbai schleppen“, sagt sie.
Dieser Logik kann ich mich nicht verschließen.
Ragul winkt wieder von gegenüber, Subramaniyam ruft uns hinterher: „I see you next day, friends!“ Wir ziehen die Köpfe ein.

Tags darauf wollen wir zur Tiger Cave, einer Höhle, die von neun in den Stein gehauenen Tigerköpfen eingerahmt wird und in deren Inneren sich ein Schrein für die Göttin Durga befindet. Um uns dem verkäuferischen Talent von Ragul und der subtilen Verführung Subramaniyams zu entziehen, nehmen wir uns ein Tuk Tuk, das uns ein wenig abgeschirmt durch den Stadtkern und die fünf Kilometer nach Norden fahren wird.
„You go Tiger Cave and I bring you Corkodibunk!“, verkündet der Fahrer, ein kleiner älterer Mann mit silbernen Strähnen im pomadigen Haar.
„No, no Crocodile Bank“, ruft Petra, während ich noch überlege, was wohl ein Corkodibunk sein mag. „We only want to see the Tiger Cave!“ Sie raunt mir zu: „Die Krokodilfarm ist doch fast zwanzig Kilometer weg – und außerdem will ich keine eingesperrten Tiere sehen.“
„But other tourist go Corkodibunk, like it“, insistiert der Mann. „You go Corkodibunk.“
Wir schütteln synchron die Köpfe und handeln mit ihm einen fairen Preis von 250 Rupien für die Fahrt zu den Tigerköpfen aus.
Ich bin noch nie Tuk Tuk gefahren und halte wie ein beglückter Cockerspaniel die Nase in den Wind, der durch die offenen Seiten des dreirädrigen Gefährts dringt. Ab und an zuckt Petra zusammen, weil ein Wagen auf der Gegenfahrbahn uns beim Überholen beinahe rammt.

Die Tigerhöhle ist den Ausflug wert. Die in Stein gemeißelten Köpfe blicken majestätisch auf uns herab, und es gibt sogar noch eine frische Ausgrabungsstätte eines Tempels in der Nähe und eine Bonushöhle mit einer Lingamskulptur, dem besten Stück von Shiva. Petra posiert mit dem Phallus, dann gehen wir zurück zum Parkplatz, wo unser Fahrer wartet. Die Rückfahrt ist noch mal ein Highlight für alle, die zum ersten Mal Tuk Tuk fahren. Also für mich.

Wir haben es geschafft: Ohne mit Subramaniyam und Ragul zusammenzutreffen, sind wir wieder am Hotel angekommen, haben keine Klangschale kaufen und keine Reise buchen müssen. In meiner Erleichterung frage ich unseren Chauffeur, ob Petra von uns ein Foto machen dürfe – er sei immerhin mein erster Tuk-Tuk-Fahrer. Strahlend willigt er ein und wir knipsen ein Foto, dann bekommt er sein Geld. Endlich einer, der sich nicht an uns hängt!

Erst, als wir schon fast an der Tür vom Hotel stehen, ruft er uns hinterher: „Hey, you want my mobile number? I give you mobile number, you call me when need taxi. I make good price for you, my friend!“

Wir drehen uns nicht um. Höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg nach Pondicherry machen. Mal sehen, ob unsre drei Freunde Artikel 4 des Kölschen Grundgesetzes kennen: „Wat fott es, es fott.“

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Was haben wir vor?

Mantra, Mantra – mit dem Kölschen Grundgesetz durch Indien

Wir Rheinländer wissen: Wer wahre Erleuchtung sucht, schaut ins Kölsche Grundgesetz. Vom Leben im Hier und Jetzt – „Et es wie et es!“ – bis zur Akzeptanz der Vergänglichkeit – „Wat fott es, es fott.“ – in diesen Sätzen finden wir Jecken für jede Lebenslage Rat.
Aber gelten die weisen Worte auch außerhalb der Grenzen der Domstadt?

Das wollen wir – Switch-Comedienne Petra Nadolny und Autorin Anne Weiss („Generation Doof“) – herausfinden. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als das Land, das die Erleuchtung quasi erfunden hat: Indien. Was uns dort geschieht, erfahrt ihr in diesem Blog – do laachs de disch kapott!

6 Wochen, 5 Frauen, 1 Projekt: Das ist Shiva Colonia!

Opjepass! Wir zwei sind nicht allein unterwegs: Mit uns reisen Sybille Herkenrath, Marion Radetzky und Hannelore Schmitz. Drei Frauen von Format, die gemeinsam einen Kundalini-Yoga-Kurs an der Volkshochschule besuchen und sich auf Anraten ihres Gurus Rainer den nächsten Flieger geschnappt haben. Sie berichten euch live von ihren Erlebnissen. Wundert euch nicht, wenn sie alle ganz, ganz leichte Ähnlichkeit mit Petra Nadolny haben. Alles Inzucht hier in Köln.